Österreichische Streuobstsorte des Jahres 2022
Hartwiß Gelbe Zwetschkke
Siegfried Bernkopf, ARGE Streuobst
Allgemeine Beschreibung
„Hartwiß Gelbe Zwetschke“ wurde in den 30iger-Jahren des 19. Jhdts. vom Apotheker und Pomologen GEORG LIEGEL (1779-1861) in Braunau/Inn aus den Fruchtsteinen der Sorte „Gelbe Frühzwetsche“ gezogen. Er widmete diese Sorte seinem Pomologenkollegen Nicolai Anders HARTWISS (1793-1860), Direktor der kaiserlich-russischen Gärten in Nikita auf der Krim. Liegel beschrieb diese Sorte erstmals 1846. Eine weitere ausführliche Beschreibung folgte 1861 durch den Pomologen J.G.C. OBERDIECK.
Von den vielen Pflaumenzüchtungen Liegels schien bis vor wenigen Jahrzehnten nichts erhalten geblieben zu sein. Um 1988 wurde in Wallern (Oberösterreich) eine gelbe Zwetschke mit dem Namen „Goldtropfen“ entdeckt. Leider wurde der alte Baum entfernt, bevor Reiser geschnitten werden konnten. Vor wenigen Jahren wurde dieselbe Sorte in Lasberg (Mühlviertel) auf einem alten Baum angetroffen, anschließend auf mehreren Standorten abgesichert und pomologisch sowie zuletzt auch molekulargenetisch geprüft. Dabei kam letztlich heraus, dass es sich dabei nicht, wie ursprünglich vermutet, um die Sorte „Coes Golden Drop“ handelt, sondern um Liegels „Hartwiß Gelbe Zwetschke“. Interessant ist, dass die Gen-Analyse zwar eine Übereinstimmung mit einem deutschen Vergleichs-muster ergab, im pomologischen Vergleich, insbesondere was die Fruchtsteinmorphologie betrifft, geringe Abweichungen gegeben waren.
„Hartwiß Gelbe Zwetschke“ ist vor allem wegen der sehr charakteristischen Fruchtform (kurze zitzenartige Mündung beim Stielansatz, „Schwangerenbauch“ in der Seitenansicht) nahezu unverwechselbar. Sie ist wegen des mittelstark ausgeprägten sortentypischen Aromas und des vom Fruchtstein leicht lösbaren Fruchtfleisches eine gesuchte Sorte für den Frischverzehr, aber auch in der Küche bzw. bei der Herstellung von hochwertigen Destillaten ausgezeichnet verwendbar. In Anbetracht dieser besonderen Eigenschaften, ihrer historischen Bedeutung und interessanten Wiederentdeckungsgeschichte hat sich die ARGE Streuobst entschieden, „Hartwiß Gelbe Zwetschke“ als Streuobstsorte des Jahres 2022 festzulegen, der Bevölkerung bekannt zu machen und für ihre Erhaltung zu sorgen.
Pomologische Beschreibung
Synonyme, Herkunft, Verbreitung
In Oberösterreich fälschlich "Goldtropfen"; von GEORG LIEGEL um 1838 aus den Fruchtsteinen der "Gelben Frühzwetsche gezogen, 1846 von ihm erstmals beschrieben und seinem Obstbaufreund Oberst Hartwiß in Nikita (Krim) gewidmet; in Oberösterreich selten
Frucht
Fruchtmuster: ca.70-jähriger Hochstamm auf Sämling; Ernte 2019; Gemeinde Lasberg
Größe: mittelgroß; 38,2-42,1 mm hoch; 27,3-30,7 mm breit; 31,7-34,9 mm dick; 16,9-22,6 g schwer
Form:
- Vorderansicht: schmal oval bis oval; meist mit stumpf halsartigem bis zitzenförmigem Stielansatz; teils ungleichhälftig, stiel- bis mittelbauchig; Naht nicht bis mäßig auffällig, meist nicht eingefurcht;
- Seitenansicht: charakteristisch starke einseitige Wölbung (Bauch);
- Stempelseite: Stempelpunkt klein, hellbraun, meist aufsitzend
Haut: mitteldick, mittelgut abziehbar, mittelzäh, säuerlich, gering duftend; vollreif goldgelb mit teils geringer hell orange verwaschener Deckfarbe, dünn weißlich bereift
Stielbucht: flach, eng; Rand glatt
Stiel: kurz bis mittellang, 15-22 mm, dünn bis mitteldick, hellgrün und oft graubraun gesprenkelt
Fleisch: gelb bis orangegelb, mittelfest, mäßig saftig; säuerlich-süß, mittelstark gewürzt; meist gut steinlösend; Zuckergehalt: 13,8-14,8 °KMW; 67-72 °Oechsle; 15,8-16,9 °Brix
Fruchtstein: klein bis mittelgroß; Länge: 20,5-22,8 (ø 21,7) mm; Breite: 7,1 -8,4 (ø 7,5) mm; Dicke: 11,4-12,9 (ø 12,1) mm; Seitenansicht: unregelmäßig oval, schief verzogen, Stielansatz schmal ausgezogen und meist gegen Rücken gedreht; stempelwärts stärker verjüngt; gegen Bauchwulst mittelstark eingesenkt; Oberfläche glatt; Vorderansicht: schmal oval; Bauchwulst mittelbreit, flach, Mittelkamm selten und nur gering hervortretend; Rückenansicht: Rückenfurche sehr schmal
Reifezeit: mittelspät; am Standort Lasberg Mitte August
Baum
Wuchs: mittelstark, Krone kugelig, später hoch kugelig
Verwendung
Tafel, Küche, Schnaps
Literatur
Liegel, G.: Hartwiß‘s gelbe Zwetsche, Vereinigte Frauendorfer Blätter, 212-213, Passau 1846
Liegel, G.: Hartwiß‘s gelbe Zwetsche, Beschreibung neuer Obstsorten – Die Pflaumen, 1. Heft, 43-44, Regensburg 1851
Oberdieck, J.G.C.: Hartwiß gelbe Zwetsche, Illustriertes Handbuch der Obstkunde, 257-258, Stuttgart 1861
Lauche, W.: Hartwiss‘ gelbe Zwetsche; Deutsche Pomologie IV-3, Berlin 1882